Wird das Bargeld bald abgeschafft?

Wer hätte sich vor zwanzig Jahren vorstellen können, dass man an der Supermarktkasse mal bezahlen könnte, indem man eine Plastikkarte, sein Handy oder seine Armbanduhr für wenige Sekunden auf ein Gerät legt? Bei der Einführung des Euros 2002 war daran noch nicht zu denken. Heute ist das vielerorts möglich. Mit der zunehmenden Verbreitung des kontaktlosen digitalen Zahlens kommt zunehmend die Frage auf, ob Bargeld folglich bald abgeschafft wird.
Einige Interessensgruppen wären daran besonders interessiert. Dazu zählen die Europäische Zentralbank, Geschäftsbanken und FinTechs, also finanztechnologische Unternehmen wie Anbieter von Kreditkarten und digitalen Zahlungssystemen. Auch Wirtschaft und Werbung könnten mit den Daten, die bei jeder bargeldlosen Transaktion gespeichert werden, viel anfangen.
Allerdings ist das digitale Bezahlen in Deutschland noch immer eher die Ausnahme als die Regel. Die Zahlung mit Banknoten und Münzen bleibt hierzulande weiterhin sehr beliebt: 74 Prozent der Verbraucher zahlen hauptsächlich bar. Wenn es also nach den Konsumenten geht, steht die Bargeldabschaffung in weiter Ferne.

Vorteile eines Bargeldverbots

Würde sich die EU allerdings dennoch entscheiden, Bargeld abzuschaffen, hätte das unbestritten einige Vorteile. Der am häufigsten angeführte Grund für ein Verbot von Bargeld ist der Kampf gegen Geldwäsche und organisierte Kriminalität. Schwarzarbeit könnte so zwar eingedämmt werden, zwielichtige Praktiken, wie das Aushebeln von Mindestlöhnen, Leiharbeit und Subunternehmer-Verträge blieben jedoch unberührt und stellten weiterhin ein Problem dar. Außerdem weist EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch darauf hin, dass es keinen statistischen Zusammenhang zwischen Bargeld und organisierter Kriminalität gibt.
Ohne Bargeld würde der Zahlungsverkehr insgesamt sicherer, behaupten manche. Zwar würden Raubüberfälle und bestohlene alte Damen der Geschichte angehören, allerdings können auch Phising-Mails und Hackerangriffe zu Betrug mit Geldverlust führen. Organisierte Kriminalität würde womöglich nur von Cyberkriminalität abgelöst werden. Einzig die damit einhergehende Gewalt würde ausbleiben.
Ein nicht von der Hand zuweisender Vorteil ist, dass sich die Durschlagkraft der Geldpolitik der EZB durch Abschaffen von Bargeld erhöhen würde. Denn ihr liegt daran, mit Niedrigzins und billigem Geld die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Dabei ist ihr die Hortung von Bargeld ein Dorn im Auge. Auch traditionellen Hausbanken käme die Abschaffung von Bargeld gelegen, denn so hätten sie niedrigere Kosten und müssten weniger Gebühren berechnen. Der Wettbewerbsvorteil gebührenfreier Direktbanken wäre damit etwas aufgeholt.
Kosten sparen würden auch Nationalstaaten, denn die Herstellung und Sicherungsmaßnahmen von Geldscheinen und Münzen ist teuer. Außerdem spricht Hygiene für das kontaktlose Bezahlen, wie uns spätestens die weltweite Corona-Pandemie gelehrt hat.
Schneller ist die digitale Zahlung allemal. Das weiß jeder, der in der Schlange hinter einer Rentnerin stand, die entschlossen ist, ihre 9,63 Euro auf den Cent genau zu bezahlen.

Nachteile eines Bargeldverbots

Allerdings gibt es auch zahlreiche Argumente, die gegen das Abschaffen von Bargeld sprechen. Kritiker sehen darin eine Beschneidung der Freiheit der Bürger. Jeder und jede soll so zahlen können, wie er oder sie es wünscht.
Außerdem gibt es Bedenken, wie sich ein Bargeldverbot auf sozial Schwache und Arme auswirken würde. Also Personen, die in der Regel kein Konto bei einer Bank haben und damit keine Geld- oder Kreditkarte. Ohne Bargeld könnten sie nicht am wirtschaftlichen Leben teilnehmen. Es müsste garantiert werden, dass jede einzelne Person im Land digital zahlen kann. Dazu zählen auch Kinder und Jugendliche.
Verbraucher- und Datenschützer warnen zudem vor dem gläsernen Konsumenten, der Realität werden könnte, wenn der Zahlungsverkehr nur noch bargeldlos stattfände. Schließlich wäre so jede Transaktion festgehalten und gespeichert.

Wie steht es um ein Bargeldverbot in Deutschland?

Die Deutschen zahlen zwar immer mehr digital, fühlen sich aber mehr als andere Nationen dem Bargeld verbunden. Aber nicht nur das Verhalten der deutschen Bevölkerung spricht gegen eine Bargeldabschaffung. Auch viele Entscheidungsträger positionieren sich gegen sie. So hält etwa der Präsident der Deutschen Bundesbank Jens Weidmann ein Bargeldverbot für nicht sinnvoll. Solche Vorschläge seien eine unverhältnismäßige Antwort auf geldpolitische Herausforderungen.
Außerdem stellt sich die Frage nach der Machbar- und Rechtmäßigkeit eines solchen Verbots. Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio lehnt eine Bargeldabschaffung ebenfalls ab und sieht sie kaum mit dem Grundgesetz vereinbar.

Fazit: Bargeldverbot derzeit unwahrscheinlich

Gegenwärtig gibt es nur wenig Enthusiasmus für das Abschaffen von Bargeld in der EU. Obwohl es einige Hinweise für eine Bevorzugung des digitalen gegenüber dem traditionellen Zahlungsverkehr gibt, wird es noch lange dauern, bis ein Verbot durchgesetzt wird. Falls es überhaupt so weit kommt.
Die politischen Verantwortlichen würden in mancher Hinsicht davon profitieren, wissen aber um den Widerstand in der Bevölkerung. Die Gefahr, dass Menschen das Vertrauen in die Währung und die Geldpolitik der Europäischen Union verlieren, würde die Vorteile einer solchen Entscheidung hinfällig machen.
Auf lange Sicht ist die Bargeldabschaffung jedoch wahrscheinlich. Zum einen, weil die Akzeptanz digitaler Bezahlung zunehmend steigt. Zum anderen, weil die Interessensgruppen mächtig sind. Erste Hinweise zur Einschränkung des Zahlungsmittels gibt es schon, etwa das aus dem Verkehr ziehen des 500-Euro-Scheins und Obergrenzen für Bargeldzahlungen. Weitere Schritte könnten sein, die Bargeld-Annahmepflicht aufzuheben, Abhebebeschränkungen einzuführen und die Nutzung von Bargeld zu besteuern bzw. darauf Gebühren zu erheben.
Mittelfristig ist also mit weiteren Beschränkungen, jedoch nicht mit einer Abschaffung zu rechnen. Selbst in Schweden, wo 80 Prozent nach eigenen Angaben kein Bargeld mehr nutzen, kam es bisher nicht zu einem Verbot.